Knusprig, goldgelb und mit einem Hauch Rosmarin – Focaccia zählt zu den beliebtesten italienischen Backwaren in deutschen Supermarktregalen. Doch zwischen dem romantischen Bild eines toskanischen Bäckers, der den Teig liebevoll von Hand knetet, und der Realität industrieller Massenproduktion liegen Welten. Verbraucher greifen oft zu Produkten, die mit verlockenden Begriffen wie „traditionell“, „hausgemacht“ oder „authentisch italienisch“ werben, ohne zu ahnen, dass sie damit einer gezielten Marketingstrategie auf den Leim gehen.
Wenn Worte mehr versprechen als sie halten
Die Zutatenliste offenbart meist eine ganz andere Geschichte als die Verpackungsgestaltung suggeriert. Zwischen Emulgatoren, Konservierungsstoffen und Backtriebmitteln mit kryptischen E-Nummern findet sich wenig von der versprochenen Handwerkskunst. Dennoch dürfen Hersteller mit Begriffen werben, die bei Konsumenten bestimmte Assoziationen wecken, und das völlig legal, solange sie gewisse Mindestanforderungen erfüllen oder die Begriffe geschickt umschreiben.
Das Problem beginnt bereits bei der Definition: Was genau bedeutet „traditionell“? Eine gesetzlich geschützte Definition existiert nicht. Ein Produkt kann als traditionell beworben werden, selbst wenn es in hochautomatisierten Fabriken unter Einsatz modernster Lebensmitteltechnologie hergestellt wird. Entscheidend ist lediglich, dass ein Rezept auf einer „überlieferten“ Zubereitungsart basiert, wie auch immer diese interpretiert wird.
Die Illusion der Handarbeit
Besonders perfide wirkt die Verwendung des Begriffs „hausgemacht“. Während Verbraucher dabei an eine kleine Bäckerei oder sogar die eigene Küche denken, meint der Hersteller damit häufig nur, dass das Produkt „im eigenen Haus“ produziert wurde, sprich: in der eigenen Fabrik. Die Assoziation mit häuslicher Atmosphäre und individueller Zubereitung ist gewollt, die rechtliche Grundlage jedoch dünn.
Tatsächlich durchläuft industriell gefertigte Focaccia einen Produktionsprozess, der mit traditionellem Bäckerhandwerk wenig gemein hat. Teigmischungen werden in riesigen Knetmaschinen verarbeitet, Teigruhe wird durch spezielle Enzyme beschleunigt, und die Haltbarkeit durch Konservierungsstoffe verlängert. Das Olivenöl, das in der Werbung so prominent platziert wird, macht oft nur einen Bruchteil des Fettanteils aus und wird durch günstigere Pflanzenöle ergänzt.
Italiensehnsucht als Verkaufsargument
Die Bezeichnung „authentisch italienisch“ spielt gezielt mit der Sehnsucht nach mediterranem Lebensgefühl und Urlaubserinnerungen. Doch auch hier gibt es keine verbindlichen Kriterien. Häufig reicht es aus, dass die Rezeptur auf einer italienischen Tradition basiert, selbst wenn diese für den industriellen Massenmarkt stark modifiziert wurde.
Echte Focaccia aus italienischen Bäckereien kommt mit einer überschaubaren Zutatenliste aus: Weizenmehl, Wasser, Olivenöl, Salz, Hefe und vielleicht einigen Kräutern. Der Name dieses italienischen Fladenbrots aus Hefeteig leitet sich vom lateinischen Wort „focus“ ab, was „Herd“ bedeutet und auf seinen Ursprung im Altertum hinweist. Charakteristisch für traditionelle Focaccia ist der hohe Olivenölgehalt, der den Teig besonders saftig und aromatisch macht. Die Industrievariante enthält hingegen oft ein Vielfaches an Zutaten, darunter Stabilisatoren für die Konsistenz, Säureregulatoren für längere Haltbarkeit und Geschmacksverstärker zur Intensivierung des Aromas.
Verpackungsdesign als Täuschungsmanöver
Die visuelle Gestaltung der Verpackung verstärkt die Irreführung zusätzlich. Bilder von rustikalen Holzöfen, handgezeichnete Schriftzüge und die Farbgebung in den italienischen Nationalfarben suggerieren Handwerkskunst und Ursprünglichkeit. Manchmal finden sich sogar fiktive Geschichten über angebliche Familientraditionen oder erfundene Bäckermeister, die das Produkt besonders authentisch erscheinen lassen sollen.

Auch die Platzierung im Supermarkt spielt eine Rolle. Oft werden diese Produkte in Bereichen präsentiert, die an frische Backwaren erinnern, mit warmer Beleuchtung und in offenen Regalen, die den Eindruck vermitteln, die Focaccia sei gerade erst aus dem Ofen gekommen. Dabei liegt die industrielle Fertigung meist Tage oder sogar Wochen zurück.
Der Blick auf die Zutatenliste lohnt sich
Wer Klarheit über das tatsächliche Produkt gewinnen möchte, kommt um einen genauen Blick auf die Zutatenliste nicht herum. Hier zeigt sich schnell, ob die vollmundigen Versprechen der Vorderseite der Realität entsprechen. Eine lange Liste mit vielen E-Nummern und chemisch klingenden Begriffen deutet auf intensive industrielle Verarbeitung hin.
Besonders aufschlussreich ist die Reihenfolge der Zutaten: Sie erfolgt nach Gewichtsanteil, beginnend mit dem Hauptbestandteil. Wenn Olivenöl erst weit hinten auftaucht, besteht der Fettanteil vorwiegend aus günstigeren Alternativen, trotz des Olivenzweigs auf der Verpackungsvorderseite. Die Nährwerttabelle verrät zusätzlich, wie hoch der tatsächliche Salzgehalt ist und welche versteckten Fette verarbeitet wurden.
Zwischen legaler Grauzone und Verbrauchertäuschung
Die rechtliche Situation ist komplex: Während offensichtlich falsche Angaben verboten sind, bewegen sich viele Werbeaussagen in einer Grauzone. Hersteller nutzen geschickt die Lücken in der Gesetzgebung und setzen auf die emotionale Wirkung bestimmter Begriffe, ohne dabei technisch die Unwahrheit zu sagen. Was „traditionell“ oder „handwerklich“ bedeutet, bleibt letztlich Auslegungssache.
Verbraucherschützer fordern seit Jahren strengere Regelungen und klarere Definitionen für solche Begriffe. Bislang scheiterten entsprechende Initiativen jedoch häufig am Widerstand der Lebensmittelindustrie und an der Komplexität europaweiter Regelungen. Das Ergebnis: Konsumenten müssen selbst zum Detektiv werden und hinter die Kulissen der Marketingversprechen blicken.
Worauf Verbraucher achten sollten
- Zutatenliste prüfen: Je kürzer und verständlicher, desto näher am traditionellen Original
- E-Nummern hinterfragen: Viele Zusatzstoffe sprechen für industrielle Fertigung
- Nährwerttabelle checken: Hoher Salzgehalt und versteckte Fette sind Warnsignale
- Herkunftsangaben suchen: Diese sind oft klein gedruckt, aber aussagekräftig
- Skepsis bei Werbebegriffen: „Traditionell“ und „hausgemacht“ sind rechtlich kaum geschützt
Alternativen für bewusste Käufer
Wer tatsächlich authentische Focaccia genießen möchte, sollte sich nach Alternativen umschauen. Italienische Feinkostläden oder handwerkliche Bäckereien bieten oft Produkte an, die ihrem Namen tatsächlich gerecht werden. Auch die Selbstherstellung ist einfacher als gedacht: Mit wenigen Grundzutaten und etwas Zeit lässt sich zu Hause ein Ergebnis erzielen, das industriellen Varianten geschmacklich und qualitativ überlegen ist.
Beim Einkauf im Supermarkt hilft ein gesundes Misstrauen gegenüber allzu romantischen Produktversprechen. Wer die Mechanismen hinter den Marketingtricks durchschaut, lässt sich nicht mehr so leicht von schönen Worten und nostalgischen Verpackungsdesigns blenden. Die Investition von einigen Sekunden in das Studium der Zutatenliste zahlt sich durch bewusstere Kaufentscheidungen aus und schützt vor Enttäuschungen beim ersten Bissen. Denn am Ende zählt nicht die Geschichte auf der Verpackung, sondern das, was wirklich drin steckt.
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